Band 47

Iris Hutter: Schöner Wohnen. Standesgemässes Wohnen zwischen 900 und 1600 anhand der Anlagen Altenburg, Burg Klingen und Schloss Altenklingen

Der Thurgau ist reich an Burg- und Schlossanlagen auf Grund der kleinteiligen und wiederholt wechselnden Herrschaftsverhältnisse in der Region. Diese Burgendichte ermöglicht weiterführende Forschungsfragen zu Wohnsituationen der privilegierten Elite, dem sogenanntenAdel. Dazu archäologisch und bauarchäologisch untersucht und ausgewertet wurden die drei Anlagen Ruine Altenburg, Burg Klingen und Schloss Altenklingen, die sich nahe beieinander in der Region Märstetten befinden. Sie geben Einblicke in die Wohnbedürfnisse und Baumöglichkeiten ihrer Besitzerinnen und Besitzer in ihren unterschiedlichen Erbauungszeiten. Besonderes Augenmerk lag auf den Aspekten Repräsentation, bemerkenswerte Baulösungen, Wehrhaftigkeit und religiöse Selbstdarstellung. Es ist zudem gelungen, die Burg Klingen zu lokalisieren und die drei Anlagen erstmals in einem Forschungskontext einzubinden.

Zeitschrift, Mittelalter 2023/3

Urs Lendenmann: Ludwig Tress – Bauleiter des Burgenvereins und Künstler

Werner Bellwald / Jakob Obrecht: «…wechterheuslin hat ess in disen felsen gehouwen…» Der «fluchtburgartige» Wachtposten von Marungglii bei Albinen (Territorium Gemeinde Leuk/VS)

 

Ludwig Tress – Bauleiter des Burgenvereins und Künstler

Für die Restaurierung der Ruine Jörgenberg im Bündner Oberland suchte der Burgenverein 1930 einen Bauleiter. Ludwig Tress aus Deutschland, geboren 1904 in Darmstadt, war damals seit einigen Monaten wegen der Wirtschaftskrise arbeitslos und besass bereits Erfahrung in der Restaurierung von Burgen und Schlössern. Er wurde sofort eingestellt und wirkte 1930 – 1932 bei der Restaurierung von mehreren Burgen mit: Jörgenberg (GR), Farnsburg (BL), Ruine Pfeffingen (BL), Hohentrins (GR), Ruine Schenkenberg (AG), Turm von Santa Maria di Calanca (GR) und der Ruine Wartau (SG). Er war ein energischer und streitbarer junger Mann. Mehrfach wurde über Auseinandersetzungen mit Unternehmern berichtet, welche mit den Renovationen beauftragt waren. Ludwig Tress interessierte sich auch brennend für Geschichte und führte unbeauftragte archäologische Ausgrabungen durch.

In der Gemeinde Wartau, wo er 1932 die Restaurierung der Burgruine leitete, ist er auch heute nach gut 90 Jahren unvergessen. Dies ist einem Streich gedankt, den er der lokalen Bevölkerung spielte. Er fingierte den Fund eines goldenen Kegelspiels, welches gemäss der Sage bei der Burgruine vergraben sein sollte.

Für Ludwig Tress wurde Kunst immer wichtiger. Er malte in seiner Freizeit und liess im Wartau eine Schachtel mit Bleistift-, Farbstift- und Tuschzeichnungen, Aquarellen und Ölbildern zurück. Danach verlor sich seine Spur. Gemäss Erzählungen sei er nach Deutschland zurückgekehrt und im Russlandfeldzug ums Leben gekommen.

Tatsächlich wohnte Ludwig Tress bis 1935 in Schaan (Liechtenstein) und betrieb ein Geschäft für Spielwaren und Holzkunst. Anschliessend heiratete er in Gehlberg (Thüringen, Deutschland) eine Fabrikantentochter. Das Paar hatte zwei Kinder, aber die Ehe wurde 1956 geschieden. Unmittelbar darauf heiratete Ludwig Tress wieder. Trotz drei Kindern hielt auch die zweite Ehe nur kurz.

Von seinem späteren künstlerischen Schaffen ist ein Flügelaltar in der Bergkirche Gehlberg von 1952 und ein Wandbild des heiligen Laurentius von 1958 in Schweina (Thüringen) bekannt. Gestorben sei Ludwig Tress wohl um 1972.

 

«…wechterheuslin hat ess in disen felsen gehouwen…» Der «fluchtburgartige» Wachtposten von Marungglii bei Albinen (Territorium Gemeinde Leuk/VS)

Abseits der bekannten Burgen und Schlösser existieren im Gelände Kleinanlagen verschiedener Zeitstellung. Bei Albinen oberhalb Leuk VS liegt versteckt in einem Wald, an einem Fels klebend, eine Kleinstanlage von ca. 2 auf 3 m und um die 4 m Höhe. Sie war bislang nur der lokalen Bevölkerung geläufig und soll nun unter dem Patronat des örtlichen Kulturvereins «Altes Albinen plus» erforscht werden. Das bisher als «Räuberhöhle» gehandelte Objekt erinnert an eine kleine Fluchtburg, dürfte aber einen militärischen Beobachtungs- und Verteidigungs- bzw. Sperrposten darstellen. Zwei davon sind am nahen Gemmipass bereits erfasst, offenbar Elemente eines bisher unbekannten Dispositivs an einem der Einfallstore ins Wallis. Diese und weitere Vergleichsbespiele bei Lukas Högl (1986) legen, unterstützt durch chronikalische Abbildungen und zeitgenössische Berichte, eine Datierung ins 15./16. Jh. nahe. Doch steht die Untersuchungskampagne am Objekt mit naturwissenschaftlichen Daten noch aus.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2023/3

Zeitschrift, Mittelalter 2023/2

Christian Auf der Maur / Ulrike Gollnick: Der Turm von Hospental UR. Neue boden- und bauarchäologische Befunde

Katharina Schäppi: «In Beringen hat es ouch einen werhaften turn mit einem graben umbgeben» – Chronik einer Entdeckung

 

Der Turm von Hospental UR. Neue boden- und bauarchäologische Befunde

Der um 1277 erbaute Turm von Hospental ist das baukulturelle Wahrzeichen des Urserntals. Die Eigentümerin, die Korporation Ursern, machte ihn mit dem Einbau eines Treppenturms der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die dadurch notwendigen Untersuchungen der Jahre 2021–2022 ergaben neue Erkenntnisse. Die Nutzung des Plateaus beginnt schon einige Zeit vor der Erbauung der Turmfestung und steht im Zusammenhang mit mutmasslichen Rodungen um die Jahrtausendwende. Eine erste Bebauung mit Mörtelanwendung folgt und eine Grubenstruktur ergänzt sie. Lediglich einzelne Tierknochenfragmente und Eisennägel sind nutzungszeitlich, während pflanzliche Makroreste eine Funktion als Stall nahelegen. Die Baute dürfte zwischen dem 11. und frühen 13. Jh. entstanden sein und wird direkt vom Bau der Turmfestung abgelöst.

Der Turm weist eine Grundfläche von 10 x 7,6 m, eine noch vollständige Höhe von knapp 18 m und eine Mauerstärke von bis zu 2 m auf. Eine teils erhaltene Umfassungsmauer und ein Halsgraben ergänzen den Bau. Er wies ursprünglich vier Vollgeschosse und einen Dachraum auf. Über einen Hocheingang gelangte man ins zweite Geschoss, von dem der Lagerraum (?) im untersten Geschoss und das darüberliegende, in drei Kammern unterteilte Wohngeschoss erreicht werden konnte. Der Raum im Westen beherbergte vermutlich die Küche mit Schüttstein und den Zugang zum Aborterker. Die Konstruktion von übereinander liegenden holzverkleideten Kammern mit eingezogenem Zwischenboden in der östlichen Hälfte des Geschosses erschliesst sich aus horizontalen und vertikalen Mörtelbrauen. Das vierte Geschoss diente wohl als Amts-, Wach- und/oder Arbeitsraum. Durch die verriegelbare Türöffnung in der Nordwand erreichte man die hölzerne, das Turmgeviert umfassende Wehrlaube. Die Pfetten des Satteldachs lagen auf den zu niedrigen Giebeln hochgezogenen Längsseiten des Turmes. Funde aus dem Turm und umliegenden Areal verdeutlichen die Nutzung des Bauwerks im späten 13. und 14. Jh.

Als Residenz des stellvertretenden Amtsträgers der Vogteirechte ist die wehrhafte Turmfestung ein wichtiges Beispiel eines spätmittelalterlichen Repräsentationssitzes inneralpiner Prägung mit Kontrollfunktion über einen transalpinen Handelsweg. Dabei widerspiegelt er die Geschichte einer sozialpolitischen Entwicklung eines nach Autonomie strebenden Hochtals, das in die Ränkespiele verschiedener Parteien aufgrund seiner Lage an einer neu erschlossenen Transitroute gerät. Ein kurzer Aufstieg der Macht und ihr nachfolgender Zerfall, dem sich das Bauwerk als Denkmal stoisch widersetzt.

 

«In Beringen hat es ouch einen werhaften turn mit einem graben umbgeben» – Chronik einer Entdeckung

Das Schloss Beringen galt bislang als bescheidene Niederungsburg. Der Turm des 13. Jh. und ein Fachwerkbau von 1466/67d beherbergen das Ortsmuseum Beringen. Um Platz für den wachsenden Sammlungsbestand zu schaffen, wurde 2003 die Nachbarliegenschaft Steig 5 gekauft. Der von aussen unscheinbare Bau sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Bei einer Begehung durch die Archäologie zeigte sich im rückwärtigen Gebäudeteil des Abbruchobjektes ein spätmittelalterliches Fachwerk. Bei der Baggersondierung im Aussenbereich kam eine Mauer zum Vorschein. Es handelte sich um eine bislang unbekannte Umfassungsmauer mit anschliessendem Graben. Letzterer ist in einer Urkunde von 1394 erwähnt, wonach der Turm zu Beringen mitsamt Graben an einen Bauern überging. Diese Schriftquelle führte zur Annahme, dass das Schloss ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von Adeligen bewohnt war.

Die Bauuntersuchungen ergaben, dass sich nordseitig in der Liegenschaft ein Fachwerkbau von 1472/73d erhalten hatte. Er schloss an den sechs Jahre jüngeren Bau an und verdoppelte dessen Volumen. Das Gebäude verfügte über ein fast 4 m hohes Erdgeschoss und ein vorkragendes Obergeschoss. Trotz der für die Ortsgeschichte und darüber hinaus wichtigen Baubefunde wurde die Steig 5 abgebrochen.

Bei der Grabung kamen im Innern der Umfassungsmauer letzte Reste von Pfostenbauten und Grubenhäusern zum Vorschein. Sie datieren ins Früh- oder Hochmittelalter. Ein Keller mit Mauerwerk im Ährenverband aus dem 12. oder 13. Jh. wurde von der Umfassungsmauer geschnitten. Der Ausbau zu einer wehrhaften Niederungsburg fand wohl gleichzeitig mit dem Bau des Turmes in der zweiten Hälfte des 13. Jh. statt. In der Grabenverfüllung lagen Geschirrkeramik und Nuppenglasfragmente in einer Qualität und Menge, wie sie im Kanton sonst nur aus der Stadt Schaffhausen bekannt sind.

Die neuen Untersuchungen zeigen, dass bis im 16. Jh. eine wohlhabende Bewohnerschaft im Schloss Beringen lebte. Dabei dürfte es sich um die Nachfolger der Adelsfamilie Hün handeln, welche im 15. Jh. als Vögte in Beringen amteten.

Die Hün sind anhand von Schriftquellen ab 1374 mit dem sogenannten Achdorferhof zu Beringen in Verbindung zu bringen. Der Hof ging in ungebrochener Linie an die Nachfahren der Hün über, bis er 1520 an die Stadt verkauft wurde. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass es sich beim Achdorferhof um das Schloss Beringen handelt und dieses im Spätmittelalter als Vogteisitz diente.

Ein Teil der Umfassungsmauer und des Grabens konnten erhalten und in den angepassten Neubau integriert werden.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2023/2

Zeitschrift, Mittelalter 2023/1

Regula Schmid: Gelegenheit macht Söldner. Kriegsdienst als Möglichkeit und Beruf im Spätmittelalter

Mathijs Roelofsen: In Gesellschaft Krieg führen: die Freiburgischen Reisgesellschaften im 15. Jahrhundert

Peter Niederhäuser: Schweizer Adlige im Fürstendienst

André Holenstein: Der Solddienst der Eidgenossen im Licht der Allianzpolitik des Corpus Helveticum in der frühen Neuzeit

 

Gelegenheit macht Söldner. Kriegsdienst als Möglichkeit und Beruf im Spätmittelalter

Im Spätmittelalter häuften sich die Möglichkeiten, mit Krieg Geld zu verdienen. Zusätzlich zur rechtlich verankerten Pflicht, den Krieg körperlich und finanziell mitzutragen, richteten Männer und Frauen in Stadt und Land ihre Erwerbstätigkeit vermehrt auf den Krieg aus. Dazu gehörte auch der Kriegsdienst auf Vertragsbasis. Im Übergang zur frühen Neuzeit wurde der Kriegsdienst von einer Gelegenheit, vorübergehend Geld zu verdienen zu einem Kriegshandwerk, das als Alternative zu den herkömmlichen Arbeitsbereichen zur Verfügung stand.

 

In Gesellschaft Krieg führen: die Freiburgischen Reisgesellschaften im 15. Jahrhundert

Die Stadt Freiburg im Üechtland stellt ein interessantes Beispiel militärischer Entwicklung in der zweiten Hälfte des 15. Jh. dar. In dieser Zeit gaben die städtischen Obrigkeiten der militärischen Rolle der sogenannten Reisgesellschaften, die an Zünfte und ländliche Pfarreien gebunden waren, immer mehr Gewicht. Diese Gesellschaften funktionierten nach den Prinzipien der Solidarität und der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen. Die Untersuchung der Dokumente im Bestand «Kriegssachen» des Staatsarchivs Freiburg zeigt, dass diese umfassende Reform u.a. eine bisher kaum untersuchte geographische Komponente beinhaltet: Die ländlichen und peripheren Gebiete bildeten Ende des 15. Jh. einen wichtigen Teil der Freiburger Truppen.

 

Schweizer Adlige im Fürstendienst

Auch wenn der militärische Charakter des mittelalterlichen Adels unbestritten ist, fehlen umfassendere Untersuchungen zur Situation in der Schweiz. Das sich im ausgehenden 15. Jh. etablierende Soldunternehmertum wirft die Frage nach dessen adlig-mittelalterlichen Wurzeln auf. Die spärlichen Hinweise auf das Soldwesen verdichten sich ab dem frühen 14. Jh. zu einem klaren Bild eines adligen Kriegsdienstes, der über Geld geregelt wurde. Vor allem habsburgische Quellen geben einen spannenden Einblick in Soldverträge, wo Adlige gegen klingende Münze teilweise erstaunlich grosse Truppen rekrutierten. Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten waren die Habsburger auf solche Hilfe angewiesen, mussten dafür aber enorme Geldsummen aufbringen, die über Pfänder gedeckt wurden. Ab dem 15. Jh. banden Fürsten Adlige zunehmend über befristete Dienstverträge enger an sich, ehe dann im ausgehenden Mittelalter Provisionen und Pensionen zu neuen Formen von Diplomatie und Kriegspolitik führten.

 

Der Solddienst der Eidgenossen im Licht der Allianzpolitik des Corpus Helveticum in der frühen Neuzeit

Die Allgegenwärtigkeit von Söldnern aus dem Corpus Helveticum auf den europäischen Kriegsschauplätzen des 15. bis frühen 19. Jh. ist eine bekannte Tatsache der Schweizer Geschichte und ein zentrales Kapitel ihrer Migrations- und Verflechtungsgeschichte mit dem europäischen geopolitischen Umfeld. Weshalb wurde ausgerechnet das Corpus Helveticum ein grosses Söldnerreservoir und warum blieb es dies für so lange Zeit? Die Antwort muss den Solddienst aus dem Corpus Helveticum in den grösseren Zusammenhang der Mächtebeziehungen in Europa und in die Allianzpolitik der Orte einordnen.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2023/1

Zeitschrift, Mittelalter 2022/4

Mathias Seifert: Die Churer Torkel – letzte Zeugen des historischen Weinbaus

Verena Schaltenbrand Obrecht: Die Sondiergrabung in Mollis GL, Schiferen, im Herbst 1986

 

Die Churer Torkel – letzte Zeugen des historischen Weinbaus

Es ist ein Glücksfall, dass fünf der einst über 40 Churer Torkel, die Bezeichnung gilt im Bündner Rheintal für die Gebäude und die Baumpressen gleichermassen, noch bestehen. Der noch bis ins 20. Jh. praktizierten traditionellen Verarbeitung der Trauben ist es zu verdanken, dass zwei dieser Torkel samt den urtümlichen Pressen mit geringen Veränderungen im Zustand ihrer Bauzeit an der Wende vom 16. zum 17. Jh. erhalten sind.

Ein grosser Teil der für das 18. Jh. in Chur belegten Torkel dürfte im ausgehenden 16. Jh., wenn nicht neu gebaut, so doch erneuert worden sein. Die Bauten erhielten ein gemauertes Sockelgeschoss, häufig als Pfeilerbau ausgeführt. Als gemeinsames Merkmal ist die übereinstimmende Bauweise der liegenden Dachstühle mit den charakteristisch geformten Streben hervorzuheben, wie sie in den fünf erhaltenen Torkeln dokumentiert sind, und die in ihrer sorgfältigen Ausführung beeindruckende Zeugen der damaligen Zimmermannskunst darstellen. In gleicher Bauweise sind solche Dachstühle auch in Wohnhäusern der Churer Altstadt zu finden. Der gleiche Zeitraum ihrer Errichtung und der zum Teil luxuriöse Ausbau deren Wohngeschosse deutet ebenfalls auf wirtschaftliches Gedeihen Churs am Ende des 16. Jh. hin.

Zu den liegenden Dachstühlen, die im ausgehenden 16. Jh. plötzlich und in überraschend gleichförmiger Ausführung zu fassen sind, finden sich in Chur keine Vorgänger. Was an Holzbauten beim Stadtbrand von 1464 nicht zu Schaden kam, wurde bei den Feuersbrünsten des 16. Jh. (1574, 1576) ein Raub der Flammen.

Die erhaltenen Dachstühle stammen alle aus dem Zeitraum vom ausgehenden 16. bis 18. Jh.

Die vier erhaltenen hölzernen Weinpressen sind wahre «Methusalems» der Technikgeschichte. Es sind Geräte, die in römischer Zeit entwickelt wurden und die seither nach dem immer gleichen Bauplan konstruiert worden sind. Einmal errichtet, blieben sie über Jahrhunderte genutzt, wie die Altersbestimmung der hölzernen Bauteile ergab. Trotzdem mussten an den Pressen im Laufe des mehrhundertjährigen Gebrauchs wiederholt Balken ersetzt werden. Die an einer Presse ermittelten Daten reichen bis ins 14. Jh. und damit bis in die Zeit der erstmaligen Erwähnung dieses Torkels zurück.

 

Die Sondiergrabung in Mollis GL, Schiferen, im Herbst 1986

Im Bereich des Hofes Schiferen, Mollis/Glarus Nord, im ehemaligen Überschwemmungsgebiet der Linth, sind 1985 bei Aushubarbeiten für einen Hausneubau und 1986 anlässlich der Ausgrabung 25 Hufeisen/-fragmente aus dem 13. bis 18. Jh. und wenige weitere Fundstücke zum Vorschein gekommen. Die Hufeisen lagen auf der Oberfläche des in rund 1.2 m Tiefe anstehenden Auelehms. Dieses klebrige Material dürfte einst den Pferden die Eisen von den Hufen gerissen haben.

Belege für die Nutzung dieses Platzes sind zum einen neben den Hufeisenfunden eine feine Kalksplittschicht und grössere kantige Schottersteine auf dem erwähnten Auelehm und vor der Ausgrabung in der Nähe tief im Boden gefundene alte Baumstämme. Zum andern weist der Verlauf von alten Wegen in diesem Gebiet – Windengasse und Windengässlein – darauf hin, dass diese Fundstelle einst an einer evtl. bereits ab dem 1. Jh. n. Chr. und bis mindestens Ende des Mittelalters benutzten Route in Richtung Kerenzerberg lag.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2022/4

Zeitschrift, Mittelalter 2022/3

Christoph Rösch: Das Haus Schlossergasse 3 in Luzern und sein Dachwerk im Kontext

Kaspar Egli: Die spätgotischen Häuser von Lutter (Département Haut-Rhin) – Eine umfassende Studie von Marc Grodwohl

 

Das Haus Schlossergasse 3 in Luzern und sein Dachwerk im Kontext

Das bislang in die erste Hälfte des 16. Jh. datierte Dachwerk des grosszügigen Luzerner Altstadthauses Schlossergasse 3 konnte dank einer dendrochronologischen Neudatierung ins Jahr 1353 gesetzt werden. Hundert Jahre nach seiner Errichtung findet sich das Haus im Besitz von Angehörigen der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht Luzerns. Wenn das Stadthaus noch in der zweiten Hälfte des 15. Jh. höchsten repräsentativen Ansprüchen genügte, war dies zur Zeit seiner Erbauung zweifellos nicht anders. Es verlor seine hervorragende Stellung innerhalb der Luzerner Wohnhäuser erst im Verlauf des 19./20. Jh. Die historische Innenausstattung wurde in den 1940er- und 50er-Jahren grossteils ausgeräumt. Glücklicherweise blieb das Dach in seinem Ursprungszustand als bedeutender Zeuge des mittelalterlichen Zimmermannhandwerks erhalten.

Dieses kann anhand konstruktiver Merkmale einer Gruppe von Dächern zugewiesen werden, welche vom ausgehenden 13. bis ins 15. Jh. auf Gebäuden im heutigen Schweizer Mittelland, in Südwestdeutschland und im Elsass erstellt wurden. Allein in der Stadt Luzern und der Umgebung sind vier weitere dieser Dachwerke erhalten oder dokumentiert.

Die Dachwerke verfügen über Querbinder, die als Hängebünde oder in der Gesamtheit zusammen mit dem zentralen Längsbund als Hängewerk funktionieren. Als augenfälliges, in diesem Aufsatz verfolgtes Merkmal liegen im Dreieck von Binderbalken, Hängeholz und Bindersparren Unterzüge. Sie übermitteln die Dachlast an die Hängebünde, welche diese konzentriert an die Hauswände abgegeben. Zwischen den Hängebünden kommen den Unterzügen aufliegende, mit Holznägeln gesicherte Rafen oder am Dachbalken/Sattelholz arretierte Sparren vor. Entsprechend den Konstruktionsvarianten funktionieren die aufgehängten Unterzüge bei den Rafendächern zur Lastübertragung auf die Hängebünde, bei den Sparrendächern zur Längsaussteifung.

Dachwerke mit derart positionierten Unterzügen wurden auf verschiedenen Gebäudetypen (Profanbauten, Sakralbauten) mit unterschiedlichen Dachformen aufgerichtet. Sie vereinen Elemente von Rafen- und Sparrendächern und bilden so die Voraussetzung für spätmittelalterliche und neuzeitliche Konstruktionsweisen.

 

Die spätgotischen Häuser von Lutter (Département Haut-Rhin) – Eine umfassende Studie von Marc Grodwohl

Um 1530, nach dem Bauernkrieg, beginnt in Lutter eine neue Bauperiode mit gemauerten Gebäuden, zunächst mit Speichern und bald darauf mit Wohnhäusern. Die gemauerten Häuser des 16. Jh. waren zumeist zwei- und vereinzelt dreigeschossig und hatten ein mit Ziegeln gedecktes Satteldach ohne Walm. Das Erdgeschoss diente wirtschaftlichen Zwecken und in den Obergeschossen befanden sich die Wohnräume. Im Obergeschoss gab es einerseits eine Flurküche mit dem Herd, dem Backofen und dem Schürloch für den Stubenofen und andererseits die geheizte Stube und eine ungeheizte Kammer. Der Zugang in das Obergeschoss erfolgte auf der einen Traufseite des Hauses über eine hölzerne Aussentreppe und eine Laube. Es scheint, dass die Stallscheunen an das Wohnhaus angebaut waren, wobei es jeweils zwei separate Gebäude waren. Es sind also «falsche» Vielzweckbauten, fausse maison-bloc, oder anders gesagt ferme à bâtiments dissociés compacte. Die Stallscheunen waren von der Strasse zurückversetzte Ständerbauten, vermutlich gedeckt mit Schindeln.

Die Häuser des 16. Jh. waren reich im gotischen Stil verziert. Die Stuben hatten dreiteilige Staffelfenster und die Kammern Zwillingsfenster. Viele Fenster hatten im Sturz einen Kielbogen. Es gab auch den Vorhangbogen und das Stabwerk, und fast an jedem Haus finden sich mehrere Ecksteine mit Halbkugeln. Im 16. Jh. entsprechen die Verzierungen in Lutter dem Stil der Häuser im welschen Jura und in der Franche-Comté.

Nach 1600 zeigen sich technische Neuerungen herbeigeführt durch das Streben nach Komfort. Küche und Stube sind jetzt im Erdgeschoss, und die Stube ist unterkellert. Einige Treppenstufen führen zum Hauseingang. Man kommt zunächst in einen Vorraum und nicht mehr gleich in die Küche. Das obere Geschoss dient weiterhin dem Wohnen, der Wohnraum ist nun aber doppelt so gross. Die Scheune steht hinten im Hofraum und quer zum Haus. Es ist ein Mehrbauhof, das klassische Sundgauer Gehöft, wie man es im nördlichen Sundgau schon im 16. Jh. kennt. Die Verzierungen sind jetzt spätgotisch und im Stil der Renaissance des Oberrheins. Lutter hat gebrochen mit der Beziehung zum welschen Jura und sich nach Norden und nach Osten zum Rhein hin ausgerichtet.

Der Dreissigjährige Krieg erreicht 1633 das Oberelsass und der Hausbau kommt zum Erliegen. Nach dem Krieg, in der 2. Hälfte des 17. Jh., wird der Steinbau vom Fachwerk abgelöst. Man baut Vielzweckbauten, d. h. das Wohnhaus und das Ökonomiegebäude befinden sich nun unter demselben Dach. Der Vielzweckbau reflektiert den Druck des Bevölkerungswachstums, die verstärkte Parzellierung des Grundeigentums und den verminderten Bedarf nach Scheunen und Ställen. Die Fachwerkhäuser sind weitgehend schmucklos.

Die Steinbauphase in Lutter dauerte von 1530 bis 1630, d. h. vom Ende des Bauernkriegs bis zum Anfang des Dreissigjährigen Kriegs. Der Steinbau war während hundert Jahren ein glanzvolles Zwischenspiel, und dominieren das Ortsbild von Lutter noch heute.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2022/3

Zeitschrift, Mittelalter 2022/2

Christoph Rösch: Burgen im Kanton Solothurn – ein Überflug

Mirjam Wullschleger: Altreu – ein mittelalterliches Städtchen an der Aare

Andrea Nold: Solothurn – Leben und Arbeiten in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt

Daniel Gutscher: Oberbipp BE: Schloss Bipp – «…ganz ausgeplündert und verheert worden»

 

Burgen im Kanton Solothurn – ein Überflug

Der Flug über die Solothurner Burgen ist ein Flug über Landschaften unterschiedlicher naturräumlicher und herrschaftlicher Prägung. Zwangsläufig ergibt sich ein heterogenes Bild des greifbaren Baubestandes. Die unterschiedlichen Anlagen sind als Querschnitt des Burgenbaus vom 10. bis ins 15. Jh. im Gebiet des Mittellandes, des Juras und des Oberrheins zu verstehen, welcher von verschiedene Adelsfamilien geprägt wurde. Die Stadt Solothurn als Agitator und einigende Macht im Raum des späteren Kantons tritt erst im Verlauf des 15./16. Jh. sichtbar auf die Burgenbau-Bühne und damit in die Fussstapfen der früheren Herrschaftsfamilien. Nur eine Anlage wurde zur neuzeitlichen Festung ausgebaut. Die anderen Burgen wurden als Landvogteisitze den baulichen Bedürfnissen angepasst und unterhalten. Der private Ausbau mittelalterlicher Burgen zu neuzeitlichen Schlössern blieb eine Randerscheinung.

Schon bald nach 1900 setzte eine rege Auseinandersetzung mit den Burgruinen im Kanton ein. Für die jüngere Zeit ist die Forschungstätigkeit von Werner Meyer in den 1960er/70er-Jahren hervorzuheben. Im Rahmen verschiedener Ausgrabungen gewann Meyer burgenkundliche Erkenntnisse und Hinweise auf historische Entwicklungen im Besonderen, aber auch wichtige Resultate zur Entwicklung des mittelalterlichen Wohnbaus im Allgemeinen.

Noch weitgehend unerforscht sind die an die Hauptburg angefügten, tieferliegenden und ummauerten Vorburgareale, welche noch intakt oder auf Bildquellen erkennbar sind.

Neben der baulichen Entwicklung darf die Burg als Wohnstätte mit entsprechender Ausstattung und als Zentrum einer landwirtschaftlichen und vielleicht gewerblichen Produktion nicht ausser Acht gelassen werden. Die zahlreichen Ausgrabungen und bauhistorischen Untersuchungen führten zu einem Fundbestand, der erst in Ansätzen ausgewertet ist.

So bleibt als wenig überraschendes Fazit dieses Überflugs die Erkenntnis, dass viel Forschungsarbeit auf niedriger Flughöhe nötig ist, um das Wissen über die prägenden mittelalterlichen Bauzeugen zu erweitern.

 

Altreu – ein mittelalterliches Städtchen an der Aare

In der zweiten Hälfte des 13. Jh. gründeten die Grafen von Neuenburg-Strassberg das Städtchen Altreu auf ihren Besitzungen südlich von Selzach. Eine Ringmauer mit Doppelgraben umgab das 150 × 120 m grosse Stadtareal. Die zur Gasse hin orientierten Wohnhäuser waren in Mischbauweise aus Stein und Holz errichtet. Die auf etwa 350–450 Einwohner geschätzte Bevölkerung setzte sich aus Gewerbetreibenden, Handwerkern, Händlern und Landwirten zusammen. Gemäss der chronikalischen Überlieferung wurde Altreu 1375 zerstört. Tatsächlich lässt sich im Städtchen eine Brandkatastrophe in der zweiten Hälfte des 14. Jh. archäologisch nachweisen. Ob der Brand den «Guglern», einer Söldnertruppe, anzulasten ist, bleibt offen. Das endgültige Aus kam 1389, als die Stadt Solothurn die Herrschaft Altreu erwarb. Die neuen Herren hatten kein Interesse, die kleine Konkurrenzstadt wiederaufzubauen. So wurde das Städtchen aufgegeben und geriet in Vergessenheit.

 

Solothurn – Leben und Arbeiten in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt

Solothurn war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die grösste und wichtigste Stadt im Kanton Solothurn. Sie war seit 1409 freie Reichsstadt, vergrösserte zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert vorwiegend mit friedlichen Mitteln ihr Territorium und trat als Stadtstaat 1481 der Eidgenossenschaft bei. Für das Stadtbild von Solothurn bestimmend waren die St.-Ursenkirche, deren Bau mindestens ins 11. Jh. zurückging, und die Stadtmauern aus dem 13. Jh. Neben weiteren öffentlichen und privaten Grossbauten gab es drei Badestuben. Die an der Aare gelegene Krutbadstube wurde im späten 15. Jh. gebaut, 1642 umgebaut und 1705 abgerissen. Neben dem Baden waren die Körperpflege und die medizinische Versorgung ein wichtiges Angebot der Badestube und des Baders. Weitere Gewerbe wie die Gerber, Schuhmacher oder Hafner konnten ebenfalls anhand von Funden und Befunden archäologisch nachgewiesen werden.

 

Oberbipp BE: Schloss Bipp – «…ganz ausgeplündert und verheert worden»

Schloss Bipp bildete zusammen mit der ins Frühmittelalter zurückreichenden Kirche Oberbipp das Zentrum der Herrschaft Bipp, lange Zeit frohburgisch, dann neuenburg-nidauisch, dann kyburgisch und schliesslich bernisch. Von 1463 bis 1798 residierten hier 62 Berner Landvögte.

Die Burg gehört zur Gruppe der Höhenburgen mit Rundturm und Palas, ein in der Nordwestschweiz verbreiteter Burgtypus. Nach Brandschatzung und Plünderung Anfang März 1798 kam der mittelalterliche Landvogteisitz Schloss Bipp auf die Liste der zu veräussernden Objekte. Nach 1805 war sie Steinbruch bis der Basler Politiker Johann Jakob Stehlin-Hagenbach (1803–1879), Stehlin d.Ä, bei seinen zahlreichen Fahrten seit 1848 nach Bern dem Reiz der Anlage erlag und Schloss Bipp 1852 erwarb. Durch seinen Sohn, den Architekten Johann Jacob Stehlin-Burckhardt (1826–1894), Stehlin d.J., entstand neben der mittelalterlichen Burgruine ein winkelförmiger Neubau in klassizistisch-neugotischen Formen, den Altbestand bewusst in die romantische Gartenanlage integrierend. Es entstand eine originelle Schöpfung des «Medieval Revival» neben einer frühen Ruinenkonservierung im archäologischen Sinne, d.h. unter Respektierung des Originals in seiner überlieferten Fragmentierung. Die Ruine sowie der Schlossbau mit seinen hervorragenden Historismus-Interieurs ist noch heute im Besitz derselben Familie und wurde von den Erbinnen in den vergangenen Jahren in Zusammenarbeit mit Kantonaler Denkmalpflege und Archäologischem Dienst vorbildlich restauriert.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2022/2

Zeitschrift, Mittelalter 2022/1

Christoph Reding: Das Dorf – eine Würdigung

Anita Springer: Die bauhistorische Inventarisierung des Dorfes Muttenz BL

Lukas Richner: Burggasse 4 (Kastentext)

Nora Näf: Muttenz BL, Burggasse 8 – das älteste Haus im Baselbiet von 1417/18 (d)

Claudia Spiess: Muttenz BL, Hauptstrasse 25 – das älteste Bauernhaus der Nordwestschweiz von 1473 (d)

 

Das Dorf – eine Würdigung

Obwohl sich tausende von Dörfern über die Schweizer Landschaften verteilen, ist kaum eines davon in seiner räumlichen und zeitlichen Gesamtheit mittelalterarchäologisch untersucht. Aufgrund der grossen Anzahl dieser Gemeinwesen, der Vielzahl an sich darin vereinenden Forschungsdisziplinen sowie der Wichtigkeit dieser Lebenszellen in der heutigen Raumentwicklung erstaunt dies. Dabei glänzen die Dörfer mit ihrer über 1000-jährigen und noch längeren Vergangenheit mit grosser Standorttradition und Beständigkeit. Aufgrund des grossen Baudrucks durch die aktuell vonstattengehende Siedlungsentwicklung nach innen ist der Umgang mit der aufgehenden Bausubstanz für die zuständigen Fachstellen eine Herausforderung. Dies auch deswegen, weil bei der Erfassung der Gebäudeinventare in der Regel eine Beurteilung des Hausinnern fehlt. Im Kanton Basel-Landschaft hat die Gemeinde Muttenz daher entschieden, ein entsprechend vollständiges Inventar der Dorfkernzone zu erheben, das der kommenden Zonenplanrevision als eine Grundlage dienen soll. Entsprechend hat sich die Archäologie Baselland zum Ziel gesetzt, diese Gemeinde über fünf Jahre zu ihrem Schwerpunkt der bauarchäologischen Arbeiten zu machen. Dies auch, weil in Muttenz in den vergangenen Jahren für die Nordwestschweiz einzigartige Gebäude des 15. Jh. nachgewiesen werden konnten.

 

Die bauhistorische Inventarisierung des Dorfes Muttenz BL

Das bauhistorische Inventar der Kernzone des Dorfes Muttenz, einer Agglomerationsgemeinde der Stadt Basel, brachte aufgrund der Begehung eines Grossteils der Gebäude einen überraschenden Reichtum an historischer Gebäudesubstanz zu Tage, die teilweise bis ins 15. Jh. zurückreicht. 80 Prozent der auf dem historischen Dorfprospekt von Georg Friedrich Meyer aus dem Jahre 1678 dargestellten Häuser sind heute zu einem gewissen Grad in ihrem Bestand noch erhalten. Damit ist das vorwiegend unter bauarchäologischen Gesichtspunkten neu entstandene Inventar eine wichtige und in Bezug auf die zunehmende Siedlungsverdichtung nach Innen nötige Ergänzung zu den bisherigen Hausinventaren. Die Quantität der dokumentierten Gebäude erlaubt zudem, mit Hilfe der Datierungen und der relativen Bauabfolgen die Siedlungsentwicklung der letzten fünfhundert Jahre nachzuzeichnen. Der im Vergleich zu den anderen Baselbieter Dörfern um rund 100 bis 150 Jahre früher vollzogene Wechsel vom Holzständerbau zum Steingebäude bewahrte zahlreiche Zeugen der Holzbauweise u. a. durch deren Ummauerung. Die ärgsten Substanzverluste fanden ab der 2. Hälfte des 19. Jh. mit dem Ausbau von Ökonomien statt, ausgelöst unter anderem durch den Rückgang des Rebbaus, sowie vor allem gegen Ende des 20. Jh. durch Grossüberbauungen mit Wohn- und Geschäftskomplexen. Dennoch zeigt sich der Dorfkern – 1983 mit dem Wakkerpreis geehrt – heute noch mit vielseitigem, in vier typische Gebäudearten gruppiertem Bestand. Neben dem dreiachsigen Bauernhaus als Hauptrepräsentant finden sich zweiachsige Bauernhäuser – wohl von Rebbauern – und einachsige Wohnhäuser für Arbeiter. Häufig anzutreffen ist zudem der ortstypische so genannte Kellerbau, wohl dem Weinbau zu verdanken. Spätestens seit dem 16. Jh. nahm die Bebauung bereits die ganze Ausdehnung des Dorfetters in Anspruch. Das Dorf wuchs ab diesem Zeitpunkt also nicht von der Kirche als historischem Zentrum durch Ausdehnung entlang der Ausfallstrassen, sondern durch ständige Verdichtung der über den gesamten Etter verteilten lockeren Überbauung. Diese Erkenntnisse ermöglichen nun, im Zuge der anlaufenden Zonenplanrevision des Dorfkerns die bisherigen Schutzkonzepte zu überprüfen. Das Inventar liefert zudem den Hauseigentümern und den Behörden eine Investitions- und Planungssicherheit.

 

Muttenz BL, Burggasse 8 – das älteste Haus im Baselbiet von 1417/18 (d)

Bei der Liegenschaft Burggasse 8 in Muttenz handelt es sich um das älteste noch bestehende, nicht herrschaftliche Gebäude des Kantons Basel-Landschaft. Entdeckt wurde es dank Umbaumassnahmen, die zu einer bauarchäologischen Untersuchung führten. Der Kernbau aus dem Jahre 1417/18 (d) ist aus heutiger Sicht in Ausmass und Ausstattung ein eher bescheidenes Haus. Es handelt sich um einen zweigeschossigen Hochfirstständerbau mit einer Grundfläche von 5,4 auf 6,4 m und einem Satteldach. Dank geringer nachfolgender Umbauten hat sich relativ viel Substanz aus der Bauzeit erhalten, unter anderem der aus mit Lehm ummantelten Staken bestehende Südgiebel mitsamt einer schmalen Rauchöffnung. Auffallend sind das flache Dach sowie die Deckenkonstruktion des Erdgeschosses, die in ihrer Machart für das restliche Gebäude übertrieben massiv erscheint und auch statisch zu Problemen führte. Im Laufe der Jahrhunderte kamen vier Anbauten hinzu. Die ursprüngliche Funktion des Kernbaus blieb auch nach Abschluss der Bauuntersuchung aufgrund der wenig eindeutigen Nutzungsspuren unklar. Denkbar wäre eine Nutzung als Werkstatt oder eine Art Lagerraum.

Im Jahre 1602/03 (d) wurde der Holzbau versteinert und im Obergeschoss mit einer Wand ein Vorraum von der Kammer abgetrennt. Spätestens jetzt war das Obergeschoss bewohnt. Von der jahrhundertelangen Wohnnutzung erzählen hier auch diverse Kleinfunde, die unter dem Bretterboden der Kammer gefunden wurden, wie zum Beispiel ein absichtlich deponierter Kinderschuh aus der Mitte des 19. Jh.

 

Muttenz BL, Hauptstrasse 25 – das älteste Bauernhaus der Nordwestschweiz von 1473 (d)

Bei Umbauarbeiten an einem Bauernhaus an der Hauptstrasse 25 in Muttenz BL wurde 2018 ein noch in weiten Teilen gut erhaltenes Hochständergerüst von 1473 (d) dokumentiert. Es handelt sich dabei um einen wichtigen bauarchäologischen Befund, da hiermit das älteste bekannte Bauernhaus des Baselbietes nachgewiesen werden konnte. Bemerkenswert ist zudem, dass beim Bau des Bauernhauses ein mittelalterlicher Steinbau einbezogen und dessen Ausrichtung übernommen wurde. Dieser ältere, gestelzte Steinbau mit Halbkeller datiert deutlich vor 1472 und bildete die Auflage für die Konstruktionshölzer der Längsachsen des Hochständerbaus. Das im Grundriss 12 auf 18 m messende und 11 m hohe Gebäude besteht aus drei Nutzungsachsen mit einem Wohnteil, einem Tenn und dem Stallteil. Die Bauhölzer stammen aus dem Herbst / Winter 1472/1473 (d). Der ältere Steinbau, der Wohnteil und die Ökonomie waren einst von einem gemeinsamen Dach überdeckt. Im Wohnteil waren zur Strasse hin eine Stube und wahrscheinlich eine Nebenstube untergebracht. Rückwärtig lag eine grosszügige, bis in den Dachraum offene Rauchküche. Dass der Wohnteil und der ältere Steinbau zusammengehörten, zeigen einerseits der 1487 (d) geschaffene Hocheingang in den Steinbau und andererseits der später gebaute direkte Zugang in dessen Balkenkeller. Um 1515 (d) begann in einem ersten Schritt die Versteinerung des Wohnteils. Mit dem Abgrenzen eines Flurs durch eine gemauerte Wand wurde auf die Nebenstube verzichtet, dafür wurde ein rauchfreier direkter Zugang in die Stube und zu den gleichzeitig im Obergeschoss von der Rauchküche abgetrennten Kammern geschaffen. In einem zweiten Schritt ersetzte man die Strassen- und Hoffassade mit Mauerwerk und zog gleichzeitig 1577 (d) über der Rauchküche Deckenbalken ein. Hinweise zur Innenausstattung sind wenige erhalten geblieben. Spätere Umbauten folgten um 1640 und weitere im 18. und 19. Jh., z.B. mit dem Einbau eines Gewölbekellers.

Mit dieser Neuentdeckung zeigt sich, dass die Grundstruktur des Bauernhauses von 1473 die bekannten Formen des 16. Jh. in Bauweise und Volumen bereits vorwegnimmt. Damit ist es in der Nordwestschweiz erstmals geglückt, ein konkreteres Bild vom Aussehen eines regionalen spätmittelalterlichen Bauernhauses zu gewinnen.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2022/1

 

Zeitschrift, Mittelalter 2021/4

Christian Auf der Mauer, Alissa Cuipers: Giswil, Am Kaiserstuhl: Ein Siedlungsplatz im Wandel. Gruben, Wohnhaus und Kalkbrennofen am Brünigsaumweg zwischen Mittelalter und Frühneuzeit

Evelyne Marty: «Laicheibli» – Analyse und Typologie der Schabmadonnen-Funde aus den Grabungen der Jahre 2018–2019 auf dem Klosterplatz in Einsiedeln

 

Giswil, Am Kaiserstuhl: Ein Siedlungsplatz im Wandel. Gruben, Wohnhaus und Kalkbrennofen am Brünigsaumweg zwischen Mittelalter und Frühneuzeit

Infolge der geplanten Schüttung des Tunnelabraums der Umfahrungsstrasse Kaiserstuhl liessen sich im Taleinschnitt südlich des Hofs Am Kaiserstuhl durch archäologische Untersuchungen Zeugnisse einer ab spätmittelalterlichen Zeit einsetzenden Besiedlung nachweisen. Beim südlichen Ausläufer der westlichen Hügelkuppe wurden Siedlungsreste in Form von Gruben freigelegt, die neben Resten eines Keramikensembles aus der Zeit um 1300 und dem 14. Jh. auch ein Fragment eines sandsteinernen Fenstergewändes enthielten. Der Standort der Siedlung ist auf der Hangterrasse zu vermuten. Ein Brand zerstörte in der zweiten Hälfte des 16. Jh. ein dazugehörendes Gebäude, das einzelne mit Wandlehm ausgefachte Wände aufgewiesen haben muss. Diese erste Siedlung steht wohl im Zusammenhang mit dem Landesausbau im ausgehenden Hochmittelalter der auch die höher liegenden Gebiete um 600 m ü. M. erfasste.

Weiter südlich konnten Reste des Sockelgeschosses eines um 1600 erbauten Wohnhauses freigelegt werden. Die Mauern wurden über den ausplanierten Resten des Vorgängergebäudes errichtet. Vermutlich war nur das Vorderhaus mit einem Sockelgeschoss versehen, während das Hinterhaus auf dem anstehenden Felsen oder auf einem Mauerkranz auflag. Im Befund konnte eine dreiteilige Raumdisposition nachgewiesen werden, wobei die Funktion der Räume schwierig zu interpretieren ist. Beim östlichen Raum B mit Mörtelboden ist eine Verwendung als Verkaufsladen oder als Milchkeller denkbar. Keramik-, Metall- und Glasgefässe verweisen auf eine für die ländliche Gegend durchschnittliche, aber durchaus nicht ärmliche Bewohnerschaft. Truhen- und Kästchenbestandteile geben einen Einblick in das mobile Sachgut zwischen Spätmittelalter und Frühneuzeit. Die Nähe zum Brünig-Saumweg zeigt sich aufgrund der Münzfunde; insbesondere die niederländische Münze hat Seltenheitswert in unseren Gegenden.

Die Aufgabe des Gebäudes gegen Ende des 17. Jh. verdeutlicht sich durch das Fehlen von Keramik mit mehrfarbigem bzw. linearem Malhorndekor, Laufdekor und anderen sich im Laufe der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ausbreitenden Keramiktypen. Mögliche Gründe für die geringe Nutzungsdauer des Gebäudes sind der Standort am Hang mit Rutschtendenz des Sockels, eine instabile Bauweise aufgrund unsorgfältiger Mörtelanwendung im Sockelmauerwerk oder auch die schattige und windige Lage. Ein Rückbau mit anschliessender Translozierung der Holzkonstruktion ist angesichts der geringmächtigen Auflassungsschichten in Betracht zu ziehen.

Der südlich des Wohnhauses erstellte Kalkbrennofen scheint gemäss der ältesten C14-datierten Holzkohleschicht im Brennraum in etwa zeitgleich mit der Auflassung des Wohnhauses genutzt worden zu sein. Eine frühere Erbauung des Ofens ist gemäss den zur Bauzeit des Ofens gehörenden Funden jedoch nicht auszuschliessen.

Die hier vorgestellten Befunde und Funde gewähren einen Einblick in eine Epoche des Kantons Obwalden, die bislang aus archäologischer Sicht nur in Ansätzen nachzuvollziehen ist. Sie sind für die siedlungshistorische Forschung ein Glücksfall, gelten sie doch als ein wichtiger Informationsträger angesichts der die lokalen Lebensweisen und Siedlungsvorgänge kaum abbildenden, historischen Schriftquellen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.

 

«Laicheibli» – Analyse und Typologie der Schabmadonnen-Funde aus den Grabungen der Jahre 2018–2019 auf dem Klosterplatz in Einsiedeln

Die so genannten «Laicheibli», Nachbildungen der Schwarzen Madonna aus Lehm, gehörten über mehrere hundert Jahre zum Wallfahrtsbetrieb in Einsiedeln. Zuerst wurden sie im Kloster an die gläubigen Pilger verschenkt, später auch in den Krämerläden auf dem Klosterplatz verkauft. Laut Angaben des Klosters seien denjenigen Schabmadonnen aus der Produktion des Klosters zusätzlich weitere Materialien beigemischt worden, um ihnen eine heiltätige Wirkung zu verleihen.

Die vielfältige und weit verbreitete Nutzung der Schabmadonnen bezeugt ihre Beliebtheit zwischen dem 17. und 20. Jh., wobei sich eine genaue Datierung als schwierig gestaltet. Sie wurden nicht nur zu ihrem primären Verwendungszweck, dem Abschaben, verwendet, sondern galten auch vergraben, am Körper getragen oder in der Wohnung aufgestellt als wundertätig. So dienten sie als Heilmittel oder als Schutzgegenstand und gehörten wohl in den Bereich von praktischem Glauben.

Die vielen Funde vom Klosterplatz ermöglichen es, die Schabmadonnen systematisch zu untersuchen. Besonders aufschlussreich sind dabei die Abdrücke auf der Rückseite: Verschiedene Elemente rund um Maria oder Einsiedeln werden unterschiedlich kombiniert. Zudem können die Funde Informationen über den Hersteller beinhalten (Kloster und Dorfbewohner). Da letztere jedoch stets versucht haben, die Schabmadonnen vom Kloster nachzuahmen, stellt sich eine definitive Zuordnung der einzelnen Figuren meist als schwierig dar. Die Schabmadonnen aus Einsiedeln bilden demnach eine Fundgruppe mit Erkenntnispotenzial, und trotz den Resultaten in diesem Artikel sind weiterführende Analysen vielversprechend und geplant.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2021/4

Zeitschrift, Mittelalter 2021/3

Kühmatt – eine spätmittelalterliche / frühneuzeitliche Siedlung und ihr Abgang.

Archäologie auf einem Siedlungsplatz im Alpenraum

von Jakob Obrecht und Werner Bellwald, mit einem Beitrag von Elisabeth Marti-Grädel

Auf 1630 m ü. M. liegt im oberen Lötschental der Weiler Kühmatt (Gemeinde Blatten,VS). In der Umgebung findet man an die 30 Standorte einstiger Gebäude. Im August 2019 legte ein Team ehrenamtlich arbeitender ArchäologInnen und Freiwilliger teilweise vier Ruinen frei. Die von der Kantonsarchäologie VS bewilligte und 14 Tage dauernde Ausgrabung wurde privat finanziert. Die Auswertung der teils überraschend vielen Funde unterstützten die Loterie Romande, die Ernst Göhner Stiftung und eine anonym bleibend wollende Basler Stiftung mit namhaften Beiträgen.

Die zeitlich kurze und inhaltlich weitgehend terra incognita beschreitende Grabung erzielte trotz schwieriger Rahmenbedingungen vielfältige und neue Erkenntnisse. Die untersuchten Grundrisse decken eine typologische Vielfalt ab: Sockelgeschoss von Ökonomiebauten, übliches Wohnhaus, repräsentatives Wohnhaus mit mörtelgebundenem Mauerwerk oder Sakralbau. Die Anfänge der Dauersiedlung konnten ins 13. Jh. datiert werden. Das umfangreiche und teils erstaunliche Fundmaterial (Flintstein, Fensterglas, eine überraschende Menge an Tierknochen, Silbermünzen) weist auf alles andere als die vielzitierte Abgeschlossenheit eines Bergtales hin. Doch sorgte der überwiegende Gebrauch von Holzgeräten in einer nach Selbstversorgung tendierenden Kultur dafür, dass es im alltäglichen Umlauf wenig Keramik gab, wohl auch wenig Eisen (dessen Fehlen in den Funden allerdings auch auf dem Rezyklieren des wertvollen Materials beruht). Zudem wurden bei der Aufgabe der Siedlung mitsamt den zerlegten Blockbauten wohl auch alle noch so abgenutzten Gebrauchsobjekte mittransportiert.

Die Auflassung des hochgelegenen Weilers Kühmatt begann ab der zweiten Hälfte des 17. Jh. Hinweise auf ein Naturereignis (Felssturz, Steinschlag, Lawine) oder auf einen der damals häufigen Dorfbrände gibt es nicht. Das Ausdünnen der Funde im 18. und deren gänzliches Ausbleiben im 19. Jh. weist auf ein geordnetes, schrittweises Verlassen der Siedlung. Grund dafür ist, zusätzlich zu möglichen Lawinenunglücken, die kontinuierliche klimatische Ungunst der Kleinen Eiszeit. Die Bevölkerung weicht in das zwei Kilometer talauswärts und 100 Höhenmeter tiefer gelegene Hauptdorf Blatten zurück, das im Zuge einer Verdichtung der bisherigen Streusiedlungslandschaft zum Hauptdorf avanciert. Die letzten Wohnhäuser von Kühmatt werden um 1850/60 zerlegt und talabwärts transportiert – aus dem während Jahrhunderten bewohnten Weiler wird ein temporär genutztes Maiensäss.

 

PDF Zeitschrift Mittelalter 2021/3