Zeitschrift, Mittelalter 2022/1

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Beschreibung

Christoph Reding: Das Dorf – eine Würdigung

Anita Springer: Die bauhistorische Inventarisierung des Dorfes Muttenz BL

Lukas Richner: Burggasse 4 (Kastentext)

Nora Näf: Muttenz BL, Burggasse 8 – das älteste Haus im Baselbiet von 1417/18 (d)

Claudia Spiess: Muttenz BL, Hauptstrasse 25 – das älteste Bauernhaus der Nordwestschweiz von 1473 (d)

 

Das Dorf – eine Würdigung

Obwohl sich tausende von Dörfern über die Schweizer Landschaften verteilen, ist kaum eines davon in seiner räumlichen und zeitlichen Gesamtheit mittelalterarchäologisch untersucht. Aufgrund der grossen Anzahl dieser Gemeinwesen, der Vielzahl an sich darin vereinenden Forschungsdisziplinen sowie der Wichtigkeit dieser Lebenszellen in der heutigen Raumentwicklung erstaunt dies. Dabei glänzen die Dörfer mit ihrer über 1000-jährigen und noch längeren Vergangenheit mit grosser Standorttradition und Beständigkeit. Aufgrund des grossen Baudrucks durch die aktuell vonstattengehende Siedlungsentwicklung nach innen ist der Umgang mit der aufgehenden Bausubstanz für die zuständigen Fachstellen eine Herausforderung. Dies auch deswegen, weil bei der Erfassung der Gebäudeinventare in der Regel eine Beurteilung des Hausinnern fehlt. Im Kanton Basel-Landschaft hat die Gemeinde Muttenz daher entschieden, ein entsprechend vollständiges Inventar der Dorfkernzone zu erheben, das der kommenden Zonenplanrevision als eine Grundlage dienen soll. Entsprechend hat sich die Archäologie Baselland zum Ziel gesetzt, diese Gemeinde über fünf Jahre zu ihrem Schwerpunkt der bauarchäologischen Arbeiten zu machen. Dies auch, weil in Muttenz in den vergangenen Jahren für die Nordwestschweiz einzigartige Gebäude des 15. Jh. nachgewiesen werden konnten.

 

Die bauhistorische Inventarisierung des Dorfes Muttenz BL

Das bauhistorische Inventar der Kernzone des Dorfes Muttenz, einer Agglomerationsgemeinde der Stadt Basel, brachte aufgrund der Begehung eines Grossteils der Gebäude einen überraschenden Reichtum an historischer Gebäudesubstanz zu Tage, die teilweise bis ins 15. Jh. zurückreicht. 80 Prozent der auf dem historischen Dorfprospekt von Georg Friedrich Meyer aus dem Jahre 1678 dargestellten Häuser sind heute zu einem gewissen Grad in ihrem Bestand noch erhalten. Damit ist das vorwiegend unter bauarchäologischen Gesichtspunkten neu entstandene Inventar eine wichtige und in Bezug auf die zunehmende Siedlungsverdichtung nach Innen nötige Ergänzung zu den bisherigen Hausinventaren. Die Quantität der dokumentierten Gebäude erlaubt zudem, mit Hilfe der Datierungen und der relativen Bauabfolgen die Siedlungsentwicklung der letzten fünfhundert Jahre nachzuzeichnen. Der im Vergleich zu den anderen Baselbieter Dörfern um rund 100 bis 150 Jahre früher vollzogene Wechsel vom Holzständerbau zum Steingebäude bewahrte zahlreiche Zeugen der Holzbauweise u. a. durch deren Ummauerung. Die ärgsten Substanzverluste fanden ab der 2. Hälfte des 19. Jh. mit dem Ausbau von Ökonomien statt, ausgelöst unter anderem durch den Rückgang des Rebbaus, sowie vor allem gegen Ende des 20. Jh. durch Grossüberbauungen mit Wohn- und Geschäftskomplexen. Dennoch zeigt sich der Dorfkern – 1983 mit dem Wakkerpreis geehrt – heute noch mit vielseitigem, in vier typische Gebäudearten gruppiertem Bestand. Neben dem dreiachsigen Bauernhaus als Hauptrepräsentant finden sich zweiachsige Bauernhäuser – wohl von Rebbauern – und einachsige Wohnhäuser für Arbeiter. Häufig anzutreffen ist zudem der ortstypische so genannte Kellerbau, wohl dem Weinbau zu verdanken. Spätestens seit dem 16. Jh. nahm die Bebauung bereits die ganze Ausdehnung des Dorfetters in Anspruch. Das Dorf wuchs ab diesem Zeitpunkt also nicht von der Kirche als historischem Zentrum durch Ausdehnung entlang der Ausfallstrassen, sondern durch ständige Verdichtung der über den gesamten Etter verteilten lockeren Überbauung. Diese Erkenntnisse ermöglichen nun, im Zuge der anlaufenden Zonenplanrevision des Dorfkerns die bisherigen Schutzkonzepte zu überprüfen. Das Inventar liefert zudem den Hauseigentümern und den Behörden eine Investitions- und Planungssicherheit.

 

Muttenz BL, Burggasse 8 – das älteste Haus im Baselbiet von 1417/18 (d)

Bei der Liegenschaft Burggasse 8 in Muttenz handelt es sich um das älteste noch bestehende, nicht herrschaftliche Gebäude des Kantons Basel-Landschaft. Entdeckt wurde es dank Umbaumassnahmen, die zu einer bauarchäologischen Untersuchung führten. Der Kernbau aus dem Jahre 1417/18 (d) ist aus heutiger Sicht in Ausmass und Ausstattung ein eher bescheidenes Haus. Es handelt sich um einen zweigeschossigen Hochfirstständerbau mit einer Grundfläche von 5,4 auf 6,4 m und einem Satteldach. Dank geringer nachfolgender Umbauten hat sich relativ viel Substanz aus der Bauzeit erhalten, unter anderem der aus mit Lehm ummantelten Staken bestehende Südgiebel mitsamt einer schmalen Rauchöffnung. Auffallend sind das flache Dach sowie die Deckenkonstruktion des Erdgeschosses, die in ihrer Machart für das restliche Gebäude übertrieben massiv erscheint und auch statisch zu Problemen führte. Im Laufe der Jahrhunderte kamen vier Anbauten hinzu. Die ursprüngliche Funktion des Kernbaus blieb auch nach Abschluss der Bauuntersuchung aufgrund der wenig eindeutigen Nutzungsspuren unklar. Denkbar wäre eine Nutzung als Werkstatt oder eine Art Lagerraum.

Im Jahre 1602/03 (d) wurde der Holzbau versteinert und im Obergeschoss mit einer Wand ein Vorraum von der Kammer abgetrennt. Spätestens jetzt war das Obergeschoss bewohnt. Von der jahrhundertelangen Wohnnutzung erzählen hier auch diverse Kleinfunde, die unter dem Bretterboden der Kammer gefunden wurden, wie zum Beispiel ein absichtlich deponierter Kinderschuh aus der Mitte des 19. Jh.

 

Muttenz BL, Hauptstrasse 25 – das älteste Bauernhaus der Nordwestschweiz von 1473 (d)

Bei Umbauarbeiten an einem Bauernhaus an der Hauptstrasse 25 in Muttenz BL wurde 2018 ein noch in weiten Teilen gut erhaltenes Hochständergerüst von 1473 (d) dokumentiert. Es handelt sich dabei um einen wichtigen bauarchäologischen Befund, da hiermit das älteste bekannte Bauernhaus des Baselbietes nachgewiesen werden konnte. Bemerkenswert ist zudem, dass beim Bau des Bauernhauses ein mittelalterlicher Steinbau einbezogen und dessen Ausrichtung übernommen wurde. Dieser ältere, gestelzte Steinbau mit Halbkeller datiert deutlich vor 1472 und bildete die Auflage für die Konstruktionshölzer der Längsachsen des Hochständerbaus. Das im Grundriss 12 auf 18 m messende und 11 m hohe Gebäude besteht aus drei Nutzungsachsen mit einem Wohnteil, einem Tenn und dem Stallteil. Die Bauhölzer stammen aus dem Herbst / Winter 1472/1473 (d). Der ältere Steinbau, der Wohnteil und die Ökonomie waren einst von einem gemeinsamen Dach überdeckt. Im Wohnteil waren zur Strasse hin eine Stube und wahrscheinlich eine Nebenstube untergebracht. Rückwärtig lag eine grosszügige, bis in den Dachraum offene Rauchküche. Dass der Wohnteil und der ältere Steinbau zusammengehörten, zeigen einerseits der 1487 (d) geschaffene Hocheingang in den Steinbau und andererseits der später gebaute direkte Zugang in dessen Balkenkeller. Um 1515 (d) begann in einem ersten Schritt die Versteinerung des Wohnteils. Mit dem Abgrenzen eines Flurs durch eine gemauerte Wand wurde auf die Nebenstube verzichtet, dafür wurde ein rauchfreier direkter Zugang in die Stube und zu den gleichzeitig im Obergeschoss von der Rauchküche abgetrennten Kammern geschaffen. In einem zweiten Schritt ersetzte man die Strassen- und Hoffassade mit Mauerwerk und zog gleichzeitig 1577 (d) über der Rauchküche Deckenbalken ein. Hinweise zur Innenausstattung sind wenige erhalten geblieben. Spätere Umbauten folgten um 1640 und weitere im 18. und 19. Jh., z.B. mit dem Einbau eines Gewölbekellers.

Mit dieser Neuentdeckung zeigt sich, dass die Grundstruktur des Bauernhauses von 1473 die bekannten Formen des 16. Jh. in Bauweise und Volumen bereits vorwegnimmt. Damit ist es in der Nordwestschweiz erstmals geglückt, ein konkreteres Bild vom Aussehen eines regionalen spätmittelalterlichen Bauernhauses zu gewinnen.

 

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