Zeitschrift, Mittelalter 2013/3

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Beschreibung

Jakob Obrecht:  Wildhaus-Alt St. Johann SG, Burgruine Wildenburg. Bauliche Sanierung des Hauptturmes und Neuerschliessung der Ruine 2012/13

Florian Hitz: Die Freiherren von Sax und die Herrschaftsbildung im Misox

 

e-periodica.ch/2013/3

 

Wildhaus-Alt St. Johann SG, Burgruine Wildenburg. Bauliche Sanierung des Hauptturmes und Neuerschliessung der Ruine 2012/13

Bis ins Jahr 2011 war die Ruine Wildenburg im dichten Wald verborgen und kaum jemand besuchte sie mehr. Im Winterhalbjahr 2011/12 hat man das Burgareal, von dem aus man heute wieder eine gute Rundsicht geniesst, grösstenteils abgeholzt (déboiser).

2012/13 wurden der Turm und ein Stück der Ringmauer (l’enceinte) der Ruine Wildenburg wieder hergestellt und für Besucherinnen und Besucher neu zugänglich gemacht (rendre accessible). Dies alles dank der Initiative einer privaten Stiftung und unterstützt von der öffentlichen Hand.

Die bauarchäologischen Untersuchung ergab u.a., dass der Turm nicht, wie oft beschrieben, ausgebrannt ist. Der Zugang zum Burgtor muss über eine hölzerne Rampe geführt haben, welche auf Kragbalken (console en bois) ruhte, die tief im Turmmauerwerk eingemauert waren.

 

Die Freiherren von Sax und die Herrschaftsbildung im Misox

Die Wehranlage von Mesocco geht auf eine spätrömische Talsperre zurück. Auch der Vorgängerbau der vorhandenen Burgkirche ist möglicherweise noch im 5. Jh., spätestens aber im 7. Jh., entstanden.

Das Patrozinium St. Carpophorus verrät die Gründung der Kirche von Como oder Mailand aus. Die Wehranlage von Mesocco behielt somit ihre ursprüngliche strategische Funktion – Verteidigung gegen Norden – bis in die Zeit, als die ganze Talschaft Misox vom langobardischen in den fränkischen Einflussbereich geriet.

Die herrschaftliche Präsenz der Edelfreien von Sax im Tal äussert sich erstmals 1219, mit dem Stiftungsbrief für das Kollegiatkapitel San Vittore. Dieser Akt setzt die Verfügung über sämtliche Kirchen in der Talschaft voraus: ein landesherrliches Kirchenpatronat.

Ein solches wiederum legt eine längere Vorgeschichte nahe: eine frühe Stiftungstätigkeit mit eigenkirchenrechtlichen Zügen. Nun fehlen aber jegliche Hinweise für eine derartige Herrschaftsausübung der Saxer vor 1219. Ja, auch für ihre blosse Anwesenheit im Tal bestehen vor diesem Zeitpunkt nur ganz spärliche und unsichere Hinweise.

Die Saxer erscheinen zwar im 12. Jh. zusammen mit anderen edelfreien Geschlechtern<famille noble?>, die sich um die Herrschaftsbildung in Churrätien bemühen, in den Urkunden. Genau wie diese anderen stammen sie jedoch aus Schwaben.

Um 1200 bauen sie ihre Herrschaft südlich des Bodensees auf: Sie besetzen die Führungspositionen der Abtei St. Gallen und errichten eine Burg im Alpenrheintal, die sie nach ihrem (aus dem Schwarzwald mitgebrachten) Familiennamen Sax nennen. Ausserdem erwerben sie die Vogteien des Churer Hochstifts sowie des Prämonstratenserstifts Churwalden.

Voraussetzung für ihren Erfolg ist eine feste Verankerung in der Gefolgschaft der Stauferkaiser. Diese klientelistische Bindung verstärkt sich noch in der ersten Regierungszeit König Friedrichs II. Zwischen 1212 und 1219 verrichten Ulrich II. von Sax, Abt von St. Gallen, und sein Bruder Heinrich II. zahlreiche Reichsdienste.

Im Gegenzug erhalten sie offenbar die Reichsvogteien über das Kloster Disentis und das Bleniotal zu Lehen. Die letztere wird ihnen allerdings bald vom Mailänder Domkapitel streitig gemacht.

Über ein Kaiserdiplom <Privileg des Kaisers> verfügen die Saxer weder für Disentis noch für Blenio, und ebenso wenig für die Grafschaft Misox. Ihre landesherrliche Stellung in der Valle Mesolcina ist aber ohne ihre Königsnähe nicht erklärbar.

Vor 1239 erfolgt ein Generationenwechsel im Hause Sax. Die nunmehr regierenden Brüder teilen die Herrschaft: Heinrich III. übernimmt die Mesolcina; Albrecht III. die Vogtei Pfäfers; Ulrich III. die Burg und Herrschaft Sax im Rheintal.

Heinrich beschliesst nun, seinen Machtbereich auch ohne die Unterstützung des kaiserlichen Oberherrn, ja gegen diesen, auszudehnen. Zusammen mit mailändisch-guelfischen Kräften nimmt er 1242 Bellinzona ein. Er kann sich dort kurzzeitig als Burg- und Gebietsherr halten, muss die Beute dann aber der Republik Como zurückgeben.

Seinen Rückzug ins Moesano, um 1247, kompensiert er mit der Errichtung eines mächtigen und sehr repräsentativen Wohnturms zu Sta. Maria in Calanca – an vorgeschobener Stelle also, verglichen mit Mesocco.

Auf dem neu erbauten castro de Calancha agiert Heinrich 1253 zusammen mit seinem jüngeren Bruder Albert als Graf und Vizegraf des Misoxertals. Dieser für die regionale Herrschaftsgeschichte wie auch für die Periodisierung des Burgenbaus im Moesano zentral wichtige Akt ist von der Forschung des 19. und 20. Jh. völlig übersehen worden.

Die Burg Mesocco wird erst zur ständigen landesherrlichen Residenz, als Albert III. von Sax sich 1257 gezwungen sieht, die Burg Wartenstein mit der Klostervogtei Pfäfers an das dortige Kloster abzutreten. Damit trennen sich die Schicksale der saxischen Herrschaften im Rheintal und an der Moesa. Und wohl gerade zu dieser Zeit wird ein sehr grosszügiger Ausbau der Burg Mesocco abgeschlossen. Nachdem Albert seinen Wohnsitz dahin verlegt hat, beteiligt er sich an der Herrschaftsausübung in der Mesolcina.

Erst nach seinem Tod, nämlich im Jahr 1279, wird die Saxer Herrschaft auch innerhalb des Südtals geteilt. Dabei orientiert man sich an den beiden grossen Burgen. Zur Herrschaft Sax-Calanca, unter Heinrich III., gehört der untere Teil des Tales, bis hinauf nach Lostallo. Der obere Teil, Mesocco und Soazza, bildet derweil die Herrschaft Sax-Mesocco, unter den Söhnen Alberts III.

Im späten 13. Jh. wird jede der beiden Burgen zur Basis einer Herrschaftsintensivierung in ihrem hochgelegenen Hinterland. Von Mesocco aus sorgt Albert III. für die Ansiedlung von Walsern im Alpgebiet des Rheinwalds. Dabei stossen die Saxer allerdings mit den in königlicher Gunst stehenden Freiherren von Vaz zusammen, von denen sie zuvor bereits aus den Vogteien Chur, Churwalden und Disentis verdrängt worden sind.

Von Sta. Maria in Calanca aus unterstützen die Söhne Heinrichs III. durch den Erwerb von Alpbesitz die Bildung einer Gemeinde im Calancatal.

Zu Beginn des 14. Jh. wandern Heinrichs Söhne vom Calanker Turm in den Talgrund ab, um dort die Burgen lokaler Kleinadliger zu übernehmen und bedarfsweise stark auszubauen (Torre Fiorenzana in Grono bzw. Burg Norantola in Cama).

Am Talausgang des Misox nutzen die Saxer seit dem späten 13. Jh. auch den Herrenhof von Roveredo und die wohl von ihnen erstellte Torre Palas in Monticello bei San Vittore.