Zeitschrift, Mittelalter 2003/2

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Beschreibung

Jürg Schweizer: Der bernische Schlossbau im 15. Jahrhundert

Armand Baeriswyl: Bern oder Burgdorf: Wem gebührt die «Krone Burgunds»?

 

e-periodica.ch/2003/2

 

Der bernische Schlossbau im 15. Jahrhundert

Der Niedergang des alten Hoch- und Ministerialadels ermöglichte seit dem14. Jahrhundert nichtadligen Bürgern der Stadt Bern den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg.  Äusseres Zeichen dieses Aufschwunges ist die Neugestaltung der Familienwappen, um die nichtadelige Herkunft zu verdecken.

Noch begehrter als diese Symbole war der Besitz von rechtlich privilegiertem Grundeigentum. Der Zerfall des alten Adels hat im Verlauf des Spätmittelalters zur weitgehenden Auflösung der Grundherrschaft geführt. Von den nun aufstrebenden Familien wurden zielstrebig einzelne Herrschaftsteile zurückgekauft und zu einer neuen Grundherrschaft zusammengefügt.

Den neu gewonnenen Adelsstand stellten die Familien demonstrativ mit dem Umbau mittelalterlicher Burgen zu Herrschaftsschlössern unter Beweis. Als Beispiel sei das Schloss Worb erwähnt.

Die Baugeschichte von Schloss Worb ist noch unerforscht, eine Planaufnahme von 1997 erlauben aber immerhin Hypothesen zu formulieren.

Die Grunddisposition von Ringmauer, Bergfried, Wohnbau und Wehrturm gehen zweifellos vor das 15. Jahrhundert zurück. Mangels klar datierbarer Bauteile kann die Anlage nur ganz generell ins 12. oder 13. Jahrhundert datiert werden.

1472 wird im Winkel zwischen Bergfried und Wohnbau eine Wendeltreppe eingebaut, die auf allen Stockwerken die Räume des Wohnbaues mit den im Bergfried eingerichteten Sälen verbindet. In geradezu demonstrativer Wesie wird dadurch die mittelalterliche Burg „desarmiert“, da die bisher selbständige Erschliessung des Bergfrieds über den Hocheingang aufgegeben wird. Dieses Treppenhaus macht aus der Burg Worb ein repräsentatives Schloss und erhält weit über die Region Bern hinaus kunsthistorische Bedeutung als Meilenstein auf dem Weg zur autonomen Repräsentationstreppe des 16. und 17. Jahrhunderts.

Die Wertschätzung der Landschlösser der einzelnen Herrschaftsfamilien führte aber auch zu einer regen Bautätigkeit der Stadt Bern. Mittelalterliche Burgen, die im Verlauf des 13.–15. Jahrhunderts als Landvogteisitze in den Besitz der Stadt Bern gelangten, wurden im 16.Jahrhundert um- und ausgebaut. Das ist einer der Gründe warum im Raum Bern heute noch mittelalterliche Burgen als Monumente erhalten geblieben sind.

 

Bern oder Burgdorf: Wem gebührt die „Krone Burgunds“?

1156 verzichteten die Zähringer auf ihre Ansprüche im westlichen Reichsburgund und konzentrierten ihre Kräfte auf die heutige Westschweiz. Um 1200 wurden von Herzog Berchtold V. von Zähringen gleichzeitig die Städte Bern und Burgdorf gegründet. Der direkte Vergleich zeigt zwei unterschiedliche Formen: Bern als grosse, von Anfang an auf eine zahlreiche Bevölkerung hin zielende Stadt mit Handels-, Markt- und Gewerbeeinrichtungen, aber einer verhältnismässig bescheidenen Stadtkirche und einer kleinen Stadtburg (Burg Nydegg).

Im Gegensatz dazu entstand im Schatten der grossen Burg eine kleine Stadt mit geringer Einwohnerzahl, aber einer reich ausgestatteten grossen Stadtkirche.

Es ist deshalb anzunehmen, dass die Herzöge von Zähringen diesen beiden Gründungen unterschiedliche Aufgaben zuweisen wollten. Die an der Kreuzung eines Land- und eines Flussweges gelegene Stadt Bern sollte in erster Linie die wirtschaftliche Drehscheibe werden, Burgdorf das herrschaftliche Verwaltungszentrum des „regnum“ Burgund.

Aus heutiger Sicht wird dies mit verschiedenen Überlegungen begründet. Die Burg unterscheidet sich in Grösse, Ausstattung und Repräsentation augenfällig von den Turmburgen in den anderen Zähringerstädten wie Thun, Moudon, Freiburg i/Ue, oder eben Bern. Das reiche Raumprogramm der Burg Burgdorf mit mehreren Kapellen, Sälen unterschiedlicher Grösse und der Halle sind Zeichen, dass hier eine Plattform für ein differenziertes höfisches Leben einer zähringischen Residenz geschaffen werden sollte.

Weiterer Hinweis auf die geplante Stellung als Herrschaftszentrum liefert die Kirche. Das Bauwerk erscheint sehr gross für die kleine Gründungsstadt und unterscheidet sich damit evident in Grösse und Lage von derjenigen von Bern. Für kirchliche Feste, Hochzeiten, Taufen, möglicherweise auch als Grablege, sollte die Kirche den Herzögen von Zähringen dienen.

Auf den ersten Blick merkwürdig erscheint zudem die Tatsache, dass die Gründungsstadt  von der Burg abgerückt platziert wurde. Vermutlich ist der Grund darin zu suchen, dass der einzig repräsentative Zugang zur Burg im Westen lag und der Burgherr nicht wünschte, seine Burg nur durch die Stadt erreichen oder verlassen zu können.

Burgdorf hatte grundsätzlich gute Voraussetzungen für die Funktion als Herrschaftszentrum. Die politische und wirtschaftliche Gründe führten jedoch zu einer anderen Entwicklung. Mit dem Tode des zähringischen Erben, des Grafen Hartmann V. von Kyburg im Jahre 1265 wurde Bern von den deutschen Königen gefördert, während Burgdorf von den finanzschwachen Grafen von Neu-Kiburg in seiner Entwicklung behindert wurde. Somit hatte die ursprünglich als „Krone Burgunds“ geplante Stadt Burgdorf diese Würde an das wirtschaftlich und politisch mächtigere Bern abtreten müssen.